OFFENER BRIEF DER SOUNDEDITOR*INNEN

Offener Brief der Soundeditoren an Filmproduzenten, Regisseure, Herstellungsleiter, Fernsehredakteure, Studiomanager

Anmerkung: Dieser offene Brief wurde Anfang der 2000er Jahre geschrieben und führte im Nachgang zur Gründung der Berufsvereinigung Filmton (bvft).

Hauptsache billig – das Aus für die Professionalität in der Tonpostproduktion

Dies ist ein Offener Brief – entstanden aus dem Erfahrungsaustausch von über 30 in Berlin arbeitenden Soundeditoren und Sounddesignern.

Der Brief ist gerichtet an Sie, die Filmproduzenten, Regisseure, Herstellungsleiter, Fernsehredakteure, Studiomanager — an Sie alle, in deren Auftrag wir, direkt oder indirekt, arbeiten.

Die Lage ist ernst. Die Auslagerung der Vertonungsarbeiten an Postproduktionsstudios und das auf dem Fuße folgende Preisdumping hat zu einer Situation geführt, in der Vertonungsarbeit zu einem unseriösen, lieblosen Geschäft zu verkommen droht.

Stand der Dinge

In den letzten Jahren ist es zur Selbstverständlichkeit geworden, dass die Studios Ihnen, den Produzenten, Pakete für die Vertonungen anbieten, in denen die Leistungen des gesamten Vertonungspersonals enthalten sind. Das sind nicht nur die festangestellten Mitarbeiter der Studios, auch die freien Soundeditoren oder Sounddesigner (im Folgenden nur Soundeditoren genannt) werden darin Teil des Angebotes.

Vorteile für Sie, die Produzenten: Der geringere Organisationsaufwand in der Postproduktion und die genauere Kalkulierbarkeit der Vertonungskosten. Nachteile für Sie: Sie verlieren den direkten Kontakt zum Vertonungsgeschehen. Die Einschätzungen des Soundeditors, Hinweise auf spezielle Probleme oder Chancen der aktuellen Vertonung, erreichen Sie nur noch vermittelt durch den Studiomanager und werden dabei unvermeidlich zu Verkaufsargumenten.

Und nicht zuletzt: Der Prozess der Kompromissfindung (wagen wir das ungeliebte Wort auszusprechen) wird komplizierter und krisenanfälliger.

Über die Bereitschaft zum guten Kompromiss

Das große und verständliche Anliegen der Produktionen, die Kosten einer Vertonung in Grenzen zu halten, betrifft alle an der Arbeit beteiligten – Regisseure, Bildeditoren, Soundeditor und Mischtonmeister. Alle können sie das ihre dazu beitragen.

Sie könnten sich – das ist jetzt Utopie (oder war es vor nicht allzulanger Zeit noch Realität?) – nach der Tonbesprechung mit dem Herstellungsleiter zusammensetzen und beschließen: Gut wir machen es in dem und dem Rahmen. Jeder mit seinen Ansprüchen, jeder mit seiner Bereitschaft zum guten Kompromiss.

Ganz anders nun die Vertonung im Zeitalter des Paketangebotes:

Das Paketangebot dividiert die kreativen Mitarbeiter an einer Vertonung in zwei Lager. Die von der Produktion direkt beschäftigten: Regisseur und Bildeditor – und die von den Studios beauftragten: Soundeditor und Mischtonmeister.

Der Druck zur Einhaltung des Kostenrahmens geht seinen Weg heute einseitig von den Produktionen über die Verträge mit den Studiomanagern zu deren Mitarbeitern: Die Soundeditor und die Mischtonmeister. Sie sollen den Kompromiss finden und, wenn nötig, gegen die Regisseure durchsetzen.

Aber je engagierter wir dies tun (unseren Auftraggebern zuliebe), desto unengagierter erscheinen wir den Regisseuren. Wenn Sie uns und unseren Zeitrahmen dazu benutzen, die Regisseure zu bremsen, macht Sie einen unwillig, zäh, knauserig wirkenden Haufen aus uns – was wiederum, es ist kein Wunder, die Regisseure misstrauisch und empfindlich macht.

Die Nachteile für uns Soundeditor reichen dabei noch weiter:

Der Preiskampf der Paketangebote führt nicht nur zu geringeren Gewinnspannen der Studios oder, im günstigeren Fall, zu clevereren Organisationsstrukturen. Er schlägt sehr direkt auf die Arbeits- und Gehaltssituation der freien Soundeditor durch.

Die Gagen der Soundeditor sind in den letzten 5 Jahren nicht nur stagniert, sondern deutlich im Sinken begriffen. Der Lohn eines Soundeditors, wie er z.Z. bei Fernsehvertonungen kalkuliert wird, ist auf das Niveau des Mindestlohnes eines Tonassistenten am Set gesunken.

Eine Umfrage unter 30 in Berlin arbeitenden Soundeditorn hat ergeben, daß fast alle deutlich mehr als die ihnen zugesagten Tage arbeiten, um eine zufriedenstellendes Ergebenis abliefern zu können. Diese Mehrarbeit bekommen Sie in der Regel von uns geschenkt.

Während am Set Überstunden und zusätzliche Drehtage mit aller Selbstverständlichkeit den Mitarbeitern vergütet werden, haben unsere Tage 10, 12 oder 16 Stunden…sie kosten Sie immer dasselbe.

Hat sich ein Soundeditor einmal auf einen Zeitrahmen eingelassen (den er als Teil des Paketangebotes immer weniger mitbestimmen kann) trägt er den Großteil des Aufwandsrisikos.

Nun kann man sagen, es ist eine schöne Sache, sein Teil Risiko mitzutragen. Nur wäre es nicht fair, wenn derjenige, der Risiko mitträgt, auch ein Chance hätte, gelegentlich zu gewinnen?

Die Erfahrung allerdings ist die, dass die Zeitrahmen, die zur Verfügung stehen, in der Regel a) bereits von den allergünstigsten Bedingungen ausgehen und b) sich an Standards orientieren, die die jeweiligen speziellen Erfordernisse einer Vertonung außer acht lassen.

Aber die allergünstigsten Bedingungen sind selten: Zunehmender Verkehrslärm und Zeitdruck am Set machen die OTöne schwieriger in der Bearbeitung. Die Regisseure andererseits sind nicht bescheidener geworden. Sie wissen um die Möglichkeiten der digitalen Vertonung.

Und jeder Film ist anders

Darum bemühen sich Redakteure, Produzenten, Drehbuchautoren, Regisseure, Kameramänner, Ausstatter – – bloß in der Vertonung sollen sie alle wieder gleich sein? Der eine Film gleich wie der andere? Die heutigen Filme gleich wie die Filme vor 10 Jahren?

Ein Minimum von 20 Schnitttagen (exkl. Mischtage) für eine Fernsehvertonung ist kein Luxus. Die Umfrage bei den Kollegen in Berlin hat uns zu der Erkenntnis geführt, dass Angebote, die mit weniger als 20 Schnitttagen ausgestattet sind, auf Gratisarbeit der Soundeditor spekulieren oder diese zu unseriöser Arbeitsweise nötigen.

Und noch eine (besonders ungesunde) Nebenwirkung der Paketangebote

Jeder professionelle Filmschaffende weiß, wie wichtig klare Zuständigkeiten sind. Was heute zur Disposition steht ist das gute alte Prinzip der Verantwortlichkeit des Soundeditors.

Dieses besagt, dass der Soundeditor angesichts – des jeweiligen Filmes mit seinen besonderen Anforderungen – der Qualität des O-Tones – der Regieintention einschätzt in welchem Rahmen er die Vertonung leisten kann. Er verhandelt diesen Rahmen mit einem Produktionsleiter oder Studiomanager – einigt man sich, ist der Soundeditor von diesem Moment an verantwortlich für eine dem jeweiligen Film und der Regieintention entsprechende Vertonung.

Soll jedoch (der langfristigen Kalkulierbarkeit zuliebe) der Zeit- und Kostenrahmen einer Vertonung eine unverrückbare Konstante sein, wird diese zu einer Ware, die man sozusagen wie die Wurst am Meter einkauft: die 25 oder 20 oder 15 Tage Vertonung.

Die Frage heißt nun nicht mehr: Welche Vertonung braucht ein Film oder will ein Regisseur? Die Frage heißt jetzt: Was für eine Vertonung kann man in X Tagen machen? (Sind die Tage knapp, sagt man: Dann mach halt etwas weniger.)

Durch diese unscheinbar wirkende Verschiebung der Prioritäten wird die einst klare Verantwortlichkeit des Soundeditors diffus. Er wird immer bemüht sein, in der ihm zugestandenen Zeit ein bestmögliches Resultat zu erbringen….aber ob dieses Resultat dem jeweiligen Film und der jeweiligen Regieintention genügen wird, entzieht sich nun seiner Zuständigkeit. Er wird zu einer Art Vertonungsbeamter, der halt macht, was so geht.

Diese Zuständigkeitslücke wird jemand auffangen müssen. – Schafft da nicht der Spareifer die Notwendigkeit für eine neue Gattung von teuren Controllern und Supervisoren?

Berücksichtigen Sie die Nebenwirkungen! Rechnen Sie die Vorteile des „Paketes“ gegen den langfristigen Schaden, der einen Berufsstand trifft, der heute und in Zukunft an Ihren Filmen mitwirken wird!

Wieso wir nicht bereits völlig zermürbt und entmutigt sind?

Weil wir doch immer mal wieder einen Produzenten oder Regisseur erleben, für den Filmton mehr als ein notwendiges Übel ist. Und deswegen, weil der Tonschnitt ein Filmberuf ist, der sich in den letzten 10 Jahren mutig professionalisiert hat. Wir scheuen keine Vergleiche mehr. Neue Technik und neue Ansprüche halten uns munter.

Erlauben Sie uns an dieser Stelle einige Blitzlichter auf die heutige Arbeit eines Soundeditors.

Ein Schneidetisch war ein Schneidetisch. Heute werden allein in Berliner Filmtonstudios (Synchronbranche nicht mitgezählt) 5 verschiedene Tonschnittsysteme eingesetzt. Um sich zu behaupten muss ein Soundeditor sich mit mehreren dieser Systeme und deren Peripherien auskennen. Die Einarbeitung und der Erhalt des Know How ist eine Eigenleistung, die der Soundeditor in jedes Projekt mit einbringt.

Immer mehr Soundeditor verfügen über eigenes Tonaufnahmeequipment. Tapfer verbringen sie ihre Sonntage damit, fehlende NurTöne selber aufzunehmen. Diese Leistung erhalten die Produktionen in der Regel kostenfrei.

Durch die Entwicklung der Systeme und Peripherien können immer mehr Transfer- und Umspielarbeiten an den Schnittsystemen selber ausgeführt werden. Dies bedeutet nicht nur, dass Arbeit, die früher von Umspielpersonal erledigt wurde, nun den Zeitrahmen des Soundeditors belastet – es erweitert auch den Verantwortungsbereich des Soundeditors und verlangt Kompetenz in immer mehr messtechnischen Bereichen.

Die Zeit steht nicht still

Kinos werben heute mit Dolby Digital, SDDS, DTS und THX. Auch in den Haushalten wird die Technik zunehmend besser. DVD macht das Publikum auf die Möglichkeiten des Fernsehtones aufmerksam. Ein guter Teil der jüngeren Generation hört TV in HiFi-Qualität ab – wenn nicht sogar über die Surround-Heimanlage. Geräusche und Atmosphären sind nicht nur dazu da, den Dialog einzubetten. Sie können die Dramaturgie und das Tempo eines Films mitbestimmen. Sie bilden eine eigene Erzählebene und wirken dabei auf vielfältige unbewusste Weise. Die meisten Regisseure wollen diese Möglichkeiten nutzen.

Schon ein gut gemachtes TV Stereo macht da ganz schön Unterschied.

Ein Wort an Euch Regisseure

Bitte kümmert euch vermehrt darum, wer wo in welcher Zeit euren Film vertont. Lasst nicht zu, dass eure Filme als 08/15 Produkte behandelt werden. Ihr wisst es, dass Vertonung eine wichtige kreative Arbeit ist. Helft uns, es den Entscheidungsträgern begreiflich zu machen. Bitte nehmt die Tonbesprechungen ernst. Was immer ihr uns in der Tonbesprechung an Intention deutlich macht, hilft uns – nicht nur die Mischung besser vorzubereiten – es hilft uns auch, die Rahmenbedingungen durchzusetzen, die nötig sind, um eine Vertonung in der von euch gewünschten Qualität überhaupt möglich zu machen.

Ja das liebe Geld

440 DM (225 Euro) Tagesgage (Lohnsteuerkarte) sind kein Luxus. Man vergleiche den Betrag mit dem, was an Gagen am Set selbstverständlich ist – für gestalterisch tätige, direkt der Regie verantwortliche Mitarbeiter.
Wenn man eine Professionalität in einem Beruf will, kann man nicht davon ausgehen, dass alle unter 30 und Single sind. Manche haben Familie, manche müssen an die Rente denken.

Wir lieben unseren Beruf. Wir möchten ihn gerne auch in 10 Jahren noch ausüben. Wir möchten, dass er auch dann noch das Engagement wert ist.

Da es sich bei diesem Brief um ein historisches Dokument handelt, wurde die bei der Veröffentlichung damals übliche ausschließlich männliche Schreibweise beibehalten.