Die Kunst liegt im Hören

An der Entstehung eines Films wirkt im Regelfall mehr als eine Person mit. Klar ist: Nicht jede von ihnen wird (Mit-)Schöpfer*in des am Ende entstandenen Filmwerks im urheberrechtlichen Sinne. Voraussetzungen dafür sind ein eigener schöpferischer Beitrag, der sich nicht gesondert vom Filmwerk verwerten lässt und ein gemeinsamer Wille der Urheber*innen zusammenzuarbeiten und sich der Gesamtidee unterzuordnen.

Fortsetzend zu der Einführung „Filmton und Urheberrecht“ beschäftigen sich nachfolgende Ausführungen vertiefend mit den urheberrechtlichen Fragen des Filmtons

Unumstritten – d.h. in Rechtsprechung und Wissenschaft anerkannt – zählen zu den Miturheber*innen eines Filmwerks regelmäßig die Regie, die Bildgestaltung (Kamera), das Filmediting/-montage und Kostüm- und Szenenbild.

Auffällig ist dabei, dass diese Berufe zuvorderst mit dem bildlichen Teil des Films beschäftigt sind. Natürlich lebt der Film von seiner visuellen Ebene; die Zuschauenden sind fokussiert auf das Bild. Doch dies ist zu kurz gedacht: Die Zeit des Stummfilms ist seit Ende der 1920er Jahre vorbei. Ohne die zweite genauso wichtige Ebene des Films, die akustische, verlöre das Visuelle einen Großteil seiner Wirkung und seiner Eindrücklichkeit – die Zuschauenden sehen und fühlen, was sie hören. Der Ton im Film hat die Macht Emotionen und Assoziationen in der jeweiligen Szene zu lenken.

Die Komplexität und die Bedeutung des Filmtons drücken sich nicht zuletzt auch in der Diversität und Ausgestaltung der verschiedenen Filmtonberufe aus.
So ist die Tonspur ein Zusammenspiel von mehreren (Film-) Tongewerken: Es fängt bei Originaltonaufnahme am Set an, wo das Geschehen am Drehort akustisch aufgenommen wird. Anschließend geht es in der Post-Produktion weiter beim Sounddesign, dem Dialog-Edit, der Geräuscheherstellung und Geräuschaufnahme, dem Foley- und FX-Edit sowie der ADR-Sprachaufnahme und dem ADR-Edit, wo die einzelnen Tonelemente – Sprache, Geräusche, Atmosphären, Effekte und Musik – generiert und/oder bearbeitet werden. Das Supervising Sounddesign führt all diese Arbeitsergebnisse dramaturgisch zusammen und in der Mischung werden schließlich letzte dramaturgische Akzente gesetzt, der Gesamtklang aus Filmtongestaltung und Filmmusik gestaltet und so die endgültige Filmtonspur hergestellt.

Sind Filmtonschaffende typischerweise zu den Miturheber*innen des Filmwerkes zu zählen? Leisten Sie einen eigenen schöpferischen Beitrag im Sinne des Urheberrechtsgesetzes?

Ausgangspunkt ist die Definition des Filmtons: „Werke des Filmtons sind alle persönlichen geistigen Schöpfungen, die sich Tönen (Klängen, Geräuschen) als Ausdrucksmittel zur Schaffung von authentischen oder künstlichen Klangbildern zum Bewegtbild bedienen“.

Es sind also die bekannten von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Kriterien für eine „persönlich geistige Schöpfung“ zu erfüllen.

Persönliche Schöpfung: Es muss eine menschlich-gestalterische Tätigkeit vorliegen. Hiervon ist bei Filmtonschaffenden unproblematisch auszugehen.

Geistiger Gehalt: Weiter muss der menschliche Geist zum Ausdruck kommen. Dies ist ebenfalls der Fall: Der Filmton wird bewusst gestaltet und ist kein bloß mechanisch entstandenes Zufallsprodukt. Die Töne (Klänge, Geräusche) werden gezielt zur Schaffung einer Klangfolge eines Klangbildes verwandt. Zum Vergleich: Bei Werken der Musik liegt der „geistige Gehalt“ in der durch Hören erfassbaren Tonfolge. Zwar nutzen Filmtonschaffende technische Hilfsmittel, wie die anderen Filmschaffenden auch, diese walten jedoch nicht selbständig und ungesteuert.

Formgestaltung: Die Wahrnehmung muss durch die menschlichen Sinne zugänglich sein. Das Arbeitsprodukt der Filmtonschaffenden, der Filmton/die Tonspur, ist durch die menschlichen Sinne (u.a. das Gehör) wahrnehmbar.

Zentrales Kriterium des urheberrechtlichen Werkbegriffs ist die Individualität. Es muss eine persönliche Schöpfung von individueller Ausdruckskraft vorliegen, also das Ergebnis eines individuellen geistigen Schaffens. Die Individualität kann in unterschiedlicher Intensität vorliegen. Dieses qualitative Element wird mit dem Begriff der Gestaltungshöhe beschrieben. Diese – je nach Werkart variierende – Gestaltungshöhe muss erreicht werden, um von einem Werk im urheberrechtlichen Sinne sprechen zu können. Je mehr Gestaltungsspielraum die Schaffenden haben, desto eher ist die erforderliche Gestaltungshöhe erreicht.
Bei der Frage, ob es sich um ein urheberrechtlich geschütztes Werk handelt, ist das meist – wie auch hier – der zentrale Punkt: Ist es bloß eine rein handwerkliche, routinemäßige Leistung, oder tritt in dem Werk der Filmtonschaffenden bereits der individuelle, künstlerische Geist hinreichend zutage?

Zweifellos haben die Filmtonberufe eine handwerkliche Komponente, die ein technisches Fachwissen voraussetzt. Doch dies ist kein Indiz für eine routinemäßige, alltägliche Leistung – ganz im Gegenteil: Erst durch die handwerklichen, fachtechnischen Fähigkeiten erhalten Filmtonschaffende die Eintrittskarte, die es ihnen ermöglicht, ganz verschiedene, individuelle, sich von anderen Leistungen abhebende Werke (Klangwelten) zu erschaffen und so die nötige Gestaltungshöhe eines schöpferischen Beitrags zu erreichen. Es besteht erheblicher Spielraum für persönlich schaffende Züge.

Die Kunst liegt im Hören, nämlich im bewertenden Hören:
Was will ich hören? – Was soll ich hören? – Was soll ich wie hören?

Die Schöpfung eines klangästhetischen Konzeptes – einer Klangwelt – ist das Ergebnis eines individuellen geistigen Schaffens, das weit über technische Notwendigkeiten hinaus geht.
Anhand der Originaltonaufnahme, des Sounddesigns und der Geräuschaufnahme/Geräuschherstellung soll dies hier beispielhaft aufgezeigt werden. In einem zweiten Artikel werden die Filmtongewerke: Mischung, Dialog-Edit, Foley-Edit und FX-Edit unter urheberischen Gesichtspunkten dargestellt.

Originaltonaufnahme

Hier wird das Geschehen am Drehort akustisch aufgezeichnet; ein Fokus liegt dabei auf dem Dialog. Aber auch im Vorfeld der Dreharbeiten – bei Motivbesichtigungen – geben Originaltonmeister*innen der Regie Hinweise bezüglich der akustischen Eignung der Motive. Für diese Aufgaben bringen die Originaltonmeister*innen künstlerisch-gestalterische Fähigkeiten mit: Sie besitzen ein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen für die Grundstimmung der Szene, sie erfassen die Bildinhalte und dramaturgische Funktion einer Einstellung unmittelbar und setzen die klanglichen Gestaltungsmittel dementsprechend ein. Je nachdem, wie sie die Szene und die Atmosphäre darstellen wollen, wählen sie die passenden Mikrophone und richten sie aus. Zwar bedienen sie sich dabei technischer Hilfsmittel – diese verwenden sie jedoch, um eine Klangwelt zu schaffen. Dabei haben sie eine große Entscheidungsfreiheit: Die Regie oder die Bildgestaltung haben meist schon nicht das technische Wissen, zumindest aber nicht die Erfahrung, um hinsichtlich der Schaffung einer Klangwelt genaue Vorgaben zu machen. Die Originaltonmeister*innen bringen ihre Individualität im Filmwerk durch Entwicklung eines ersten klangästhetischen Konzepts (bspw.: Welche Ästhetik soll die Aufnahme haben? Welchem Genre soll die Aufnahme zuzurechnen sein?) zur Geltung und werden so schöpferisch im urheberrechtlichen Sinne tätig.

Geräuscheherstellung/Geräuschaufnahme

Der Beruf der Geräuschemacher*innen ist per se ein künstlerischer Filmtonberuf, da sie aus dem Nichts Tonereignisse gänzlich neu erschaffen oder nachbilden. Die originär für den spezifischen Film erstellten Töne/Geräusche geben dem Filmgeschehen ein organisches Gefühl von Authentizität und Sinnlichkeit. Erst durch die von den Geräuschemachenden durch ihre individuelle Tätigkeit und Kreativität erschaffenen Geräusche, vermittelt sich die Illusion einer erlebten Realität oder sogar Überrealität, wenn Dinge/Erscheinungen klingen, die in der Realität gar keinen Klang besitzen (z.B. ein Sonnenstrahl).

Die Geräuschtonmeister*innen zeichnen die Klangerzeugnisse der Geräuschemacher*innen entsprechend den dramaturgischen Erfordernissen des Filmwerkes – die nicht zwingend durch das Bild oder durch das Drehbuch vorgegeben sein müssen, also vollständig in der Hand der Geräuschtonmeister*innen/Geräuschemacher*innen liegen können – auf.

Bei der Geräuschaufnahme werden, im Sinne eines individuellen geistigen Schaffens, der Klang und die Klangwirkungen gestaltet. Hier werden filmische Aussagen verstärkt oder abgeschwächt und mit Hilfe der Geräusche Gefühle erlebbar/fühlbar gemacht.

Für die Klangformung bedient sich auch die Geräuschaufnahme technischer Hilfsmittel; dieser bedient sie sich um bspw. durch Mikrofonierung, Filterung und Dynamikbearbeitung die Klangwelt weiter zu gestalten. Zusammen mit den Geräuschemachenden wird über Art, Dauer, Häufigkeit und Intensität der Geräusche entschieden. Dabei sind sie nicht an genaue Vorgaben seitens der Regie gebunden. Er besteht also ein großer Gestaltungsspielraum, der mit Individualität bei der Geräuscheaufnahme hinreichend ausgefüllt wird.

Sounddesign

Das Sounddesign bildet in der Post-Produktion die Klangrealität nach, überspitzt sie oder formt sie um. Es werden Atmosphären gestaltet und Toneffekte hinzugefügt. Nichtmenschliche Handlungsträger, wie Fahrzeuge oder Mobiliar, erhalten erst durch das Sounddesign den gewünschten emotionalen Charakter. Die Sounddesigner*innen definieren und öffnen Zeit und Räume, in denen sich die Filmhandlung abspielt. So lenken sie die Gefühle und Assoziationen der Zuschauenden: Wo sind wir? Welche Stimmung breitet sich hier aus? Friedlich oder bedrohlich? Hier wird nach eigenen Vorstellungen ein allumfassendes abschließendes Klangkonzept, eine akustische Szenografie, erarbeitet – und so die Tonebene und den Film insgesamt dramaturgisch entscheidend mitgestaltet.

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Fazit

Die beispielhaft aufgeführten Filmtonschaffenden erfüllen jeweils für sich in ihrem Aufgabengebiet die Kriterien für eine „persönlich geistige Schöpfung“ im Sinne des Urheberechts. Sie sind hinreichend individuell tätig und werden somit den Anforderungen einer persönlichen geistigen Schöpfung gerecht.

Die weiteren Voraussetzungen der Miturheberschaft sind ebenfalls erfüllt: Sie haben den Willen, mit den anderen Miturheber*innen zusammen das Filmwerk zu gestalten und ordnen sich der Gesamtidee unter. Sie stellen dabei das akustische Pendant zu den zuvorderst mit der visuellen Ebene beschäftigten Filmgeweken, wie Bildgestaltung, Filmmontage sowie Kostüm- und Szenenbild dar. Aus diesen Gründen sind die Filmtonschaffenden ganz regelmäßig als Miturheber*innen des Filmwerks anzusehen.

Im Rahmen der Verhandlungen zum „Ergänzungstarifvertrag Erlösbeteiligung Kinofilm“ zwischen ver.di/BFFS und der Allianz Deutscher Produzenten, der die „angemessene Vergütung“ von Filmurheber*innen im Sinne des §32 UrhG regelt, wurde dies Ende 2013 von den Verhandlungspartner*innen anerkannt und zunächst die Originaltonmeister*innen, Sounddesigner*innen, FX-Editor*innen, Geräuschemacher*innen, Geräuschtonmeister*innen und Mischtonmeister*innen als regelmäßig zu beteiligende urheberisch tätige Filmschaffende aufgenommen.

Der Autor vertritt im Übrigen die These eines ganzheitlichen Ansatzes für den Filmton, dies bedeutet: Filmton = Werk. Der Filmton als ganzes ist ein Werk im Sinne der urheberrechtlichen Vorschriften. Alle an diesem Werk wesentlich beteiligten Filmtonschaffenden sind daher als Urheber*innen anzusehen. Dazu mehr in einem weiteren Artikel.

Bela von Raggamby,
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht und Justitiar der bvft

Dank für seine Mithilfe an Lorenz Müller-Tamm