Nach 2 Jahren war es wieder soweit: die Bvft veranstaltete auf dem diesjährigen Filmfest München wieder ein Tonpanel mit hochkarätiger Besetzung.
Am vergangenem Freitag, den 1. Juli 2022 fanden sich nach zwei Jahren Pandemie und deshalb generell reduzierten Besucherströmen in etwa 40 Zuhörer*innen im Festivalzentrum Amerikahaus ein.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde der Moderatorin und ihren drei Gästen: Frank Kruse, Lars Ginzel und Markus Stemler ging es auch schon los mit Tim Fehlbaums Kinofilm Tides. Der Film wurde in Originalsprache Englisch gezeigt und bietete 104 Minuten lang spannende Klangwelten für die Ohren der Zuschauer und Zuschauerinnen.

Das Publikum, bestehend aus Filmliebhabern und -Interessierten, vor allem aber aus Fachpublikum der Bereiche Originalton und Tonpostproduktion,, war schon nach der Filmvorführung von den gehörten Klangkulissen begeistert und brachten dies mit einem lauten Applaus in Richtung unserer Tongestalter zum Ausdruck. Die Filmmusik von Lorenz Dangl wurde mit allerlei Soundeffekten, Geräuschen und Atmosphären unterbaut. Metallische Geräusche der Weltraumkapsel und des Schiffes treffen auf Wassergeräusche am und im Meer sowie Wind in verschiedensten Variationen und Intensitäten. Es wurde viel Sphärisches angelegt, um die Endzeitstimmung und dystopisch wirkenden Atmosphären zu erzeugen. Auch die Bewohner des Dorfes sprechen eine eigens für den Film erfundene Kunstsprache, die sich wie eine Mischung aus Englisch, Französisch und Afrikaans anhörte. Für stimmige sprachliche Hintergründe haben sie Loop Groups / Walla Aufnahmen für Dorfszenen mit einer Gruppe von Schauspieler*innen auf einer Trabrennbahn in Berlin aufgenommen, um fernab der Großstadtgeräusche und wegen Covid 19 mit genügend Abstand einen guten und verständlichen Ton der Menschenmasse zu bekommen. Die Hintergrunddialoge wurden in die eigens dafür erfundene Sprache übersetzt und mit Hilfe ihres Sprachcoaches auditiv vorbereitet, sodass die Schauspieler*innen mit den Sätzen im Ohr loslegen konnten und eine Konsistenz in der Filmsprache vorherrscht. Der Regisseur Tim Fehlbaum hatte schon im Drehbuch eine genaue Vorstellung der Tongestaltung, welche später auch im Schnitt zu einem umfangreichen Konzept ausgebaut wurde. 
Hugo Poletti hatte die schon fast undankbare Aufgabe den Originalton aufzunehmen. Undankbar, weil es die Dreharbeiten im Wattenmeer inklusive riesiger Wind- und Nebelmaschinen sowie Stromgeneratoren und Wassergeräuschen schier unmöglich machten, einen brauchbaren Originalton zu erzeugen. 
Der Originalton wurde in akribischer Kleinstarbeit restauriert und konnte jedoch dank all der Nebengeräusche nicht mehr als Grundlage für die Gestaltung des grundsätzlichen Soundtracks dienen. Die Audio Postproduktion hatte somit eine „weiße Wand“ vor sich – denn alles musste neu konstruiert werden. Ob ältere Stahlfabrikaufnahmen, welche mehrere Oktaven nach unten gepitcht wurden um atonale, dystopische Sounds zu erzeugen, hunderte aufgenommener Wassertropfen, verschiedenste Plastikplanen-Geräusche oder ausgeklügelte und immer wieder veränderte User Interface Sounds – alles wurde genauestens angelegt und besprochen, lag in diversesten Formen vor und wurden präzise platziert. 
Organische Materialien wie Holz und Papier (bis auf wenige Ausnahmen im Schiff) waren zur Vertonung verboten, denn diese gab es auf der ausgestorbenen Erde nicht mehr. Ebenso gestaltete es sich mit Tieren, denn sie sind dank Umweltverschmutzung auch ausgestorben. 
Detaillierte Einblicke in ihre Arbeit gaben sie uns auch: mit Laptop, Filmbildern und Audio-Stems. So konnten die Zuschauer und Zuschauerinnen einen einmaligen Einblick in die einzelnen Klang-Layer erhalten. Sie spielten verschiedene Szenen erst ohne Musik und Foley an und zeigten uns ihre Effekt-, Atmo- und Geräuschkulissen dezidiert, dann nochmals im Gesamtmix. So konnten alle Anwesenden einen starken Einblick in die Arbeit der Tonschaffenden bekommen.
 Die Tonpostproduktion hatte insgesamt drei Monate Zeit und fing erst relativ spät mit ihrer Arbeit an. Der Schnitt von Andreas Menn war zu diesem Zeitpunkt schon fast fertig. . Aus diesem Grund haben sie sich aufgeteilt und ineinandergreifend gearbeitet um schon in der ersten Version gemeinsam mit Tim Fehlbaum eine klangliche Richtung zu finden, indem sie schon eine große Strecke präsentieren konnten.

Frank Kruse und Markus Stemler haben sich um die Effekte und die Atmos gekümmert, Lars Ginzel übernahm die ganze Organisation als Supervisor und machte die Mischung. 

Auch die beiden Produzenten Thomas Wöbke und Philipp Trauer haben sich wohl sehr stark in Entscheidungsprozesse und Online-Meetings eingeschaltet, waren sehr an der Tongestaltung interessiert und standen Regisseur Tim Fehlbaum stets zur Seite.
Der Kinofilm Tides wurde in Dolby Atmos gemischt und beim Tonpanel der Bvft in Dolby 5.1. wiedergegeben. 

Schon kurz nach dem Screening konnte das Publikum Fragen an die Gäste stellen. Auch die Produzenten schlichen sich am Ende des Films in den Saal hinein und beantworteten Publikumsfragen.

Es wurden einige fachspezifischen Fragen zur Klanggestaltung, den verwendeten Soundfiles und der generellen Bearbeitung gestellt. 
Interessant war auch die Herkunft einiger Soundfiles: diese stammten teilweise aus den privaten Archiven der Sounddesigner, weil sie mal irgendwo eine schwere Metalltüre aufgenommen hätten, oder vor Jahren im Stahlwerk gedreht wurde und daher diese Töne mit anderen kombiniert zu einem ganz neuen metallischen Sound wurden, der gut in das Schiffs Setup des Filmes passte. Wasser tropft auf eine Stahlplatte. Wasser tropft auf Pfützen, Wasser tropft auf verschiedene Plastikplanen und andere Gegenstände. Tagelang wurde mit einem Hydrophon Wassergeräusche im Kanal und im Watt aufgenommen und mit nachgemachten Wassertropfen auf verschiedenen Oberflächen vermischt. 
„Ob sie immer mit einem Tonaufnahme-Geräte durch die Gegend laufen würden?“, wurden die drei auch gefragt.„Ja!, sagten sie und lachten -es sei sehr hilfreich, denn echte Aufnahmen in der Natur seien besser als jeder nachgemachte, künstlich erstellte Ton.“

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es eine professionelle und gelungene Veranstaltung war, welche wieder einmal verdeutlicht hat, dass der Filmton ein wichtiges Element darstellt, welcher das Filmerlebnis mitträgt, Welten erschafft und Geschichten real werden lässt.

Die bvft bedankt sich für diese gelungene Veranstaltung ganz herzlich bei unserer Moderatorin Kyra Scheurer, unseren Gästen Lars Ginzel, Markus Stemler und Frank Kruse sowie dem Team des Filmfest Münchens.