Filmszene aus "Bal / Honig"„Stille im Film bedeutet: All die Geräusche zu hören, die man sonst nicht hört.“
So fasste Mischtonmeister und Supervising Sound Editor Tobias Fleig die Intention der Tongestaltung am Berlinale-Preisträgerfilm „Bal / Honig“ zusammen. Die BVFT hatte Mitglieder und Interessierte in die Kinomischung von Ruhrsound geladen, wo Fleig Einblicke in die Arbeitsweise von ihm und seinem Team gab.
Der Film kommt mit nur wenig Dialog aus, lässt dafür aber das Leben des kleinen Jungen Yusuf und die Natur in den ostanatolischen Bergen umso sinnlicher erfahren. Nur: In keinem Tonarchiv der Welt fanden sich die Klänge der türkischen Wälder und Dörfer. Als prägend für die klanglichen Impressionen hob Fleig deshalb die zahlreichen Atmos hervor, die Originaltonmeister Mathias Haeb (mit seinem Tonassistenten die einzigen Deutschen im türkischen Filmteam) neben den Dreharbeiten vierkanalig aufnahm und die die Basis für die weitere Vertonung lieferten. Bei soviel Aufnahmen fernab des Filmsets bleibt es nicht aus, dass manche Bilder stumm gedreht wurden: So auch die komplette lange Eingangssequenz, in der Vater Yakub zur Honigernte auf die Bäume steigt.
BAL_Ya_im-Baum
Mithilfe von Haebs Atmos, hervorragender Arbeit des Geräuschemachers und viel Schnittarbeit erhielt die Szene schließlich ihre endgültige Form und Magie. Erwähnenswert ist, dass Regisseur Semih Kaplanoğlu während der gesamten Tongestaltung, Tag für Tag, mit im Schneideraum und bei den Geräuschaufnahmen saß und bis ins kleinste Detail das Entstehen seines Werkes verfolgte und beeinflusste! So viel Aufmerksamkeit der Regie für den Filmton sieht man sonst eher selten.
Dagegen war die Drehphase wohl nach türkischer Gepflogenheit eher problematisch für einen guten Originalton: Viele Regieanweisungen bei laufender Kamera sowie ein lautes Filmteam erschwerten die Tonaufnahmen erheblich und zogen viel Schnittarbeit nach sich. Dagegen scheint es (wohl gerade weil nicht auf O-Ton geachtet wird) in der Türkei üblich zu sein, nach jedem Bild die Szene – teilweise mehrmals -nur für Ton durchspielen zu lassen, um alle Texte und Geräusche sauber aufnehmen zu können.
Eine weitere Herausforderung waren die Flüsse, die an jedem Drehort im Tal rauschten und für einen unästhetischen Rauschteppich sorgten. Da sie keine Rolle im Film spielen, mussten sie aufwändig aus dem Originalton entfernt werden. Fleig arbeitete dabei vorwiegend mit einem Waves C4-Kompressor, der mittels negativer Kompression quasi als 4-Band-Expander funktioniert. Dadurch bekam man zwischen den Dialogen auch genügend Ruhe, um die oben erwähnten „Geräusche der Stille“ einzubauen und hörbar zu machen: der leise Atem des Jungen, knarrendes Holz, ein Feuer im Nachbarraum, die Klänge des Waldes, ein Tier in der Ferne…
Kaplanoğlu („I like music – but not in a movie!“) verließ sich auf die Kraft der Bilder und Töne und verzichtete auf jegliche Filmmusik, auch im Abspann. Spannungsbögen, die sonst mit Musik aufgebaut werden, mussten hier durch Geräusche erzeugt werden. Der kochende Teekessel mit seinem anschwellenden Druck, während eines geflüsterten Dialoges zwischen Vater und Sohn, sei hier nur ein Beispiel.
Tobias Fleig gab mit diesem Abend einen umfangreichen und offenen Einblick in seine Arbeitsweise, für den wir ihm herzlich danken.
Filmstart in Deutschland ist der 9. September 2010. Siehe dazu auch unsere Pressemitteilung vom Februar.
Vielen Dank auch an Gastgeberin Marita Strotkötter von Ruhrsound für die leckere Bewirtung!