Auf der Tonmeistertagung 2010 stellte Florian Camerer von der Arbeitsgruppe Lautheit (PLoud) in der EBU einen Paradigmenwechsel in der Verbreitung von Ton in Hörfunk und Fernsehen in Aussicht: Die Empfehlung EBU R128 soll im Frühjahr 2011 veröffentlicht werden und ändert die Kriterien zur Messung von Tonsignalen. Statt derzeit reine Spitzenpegelbetrachtung gilt dann die Aussteuerung nach Lautheit. Was zunächst nur wie ein technisches Detail aussieht, wird große klangliche Konsequenzen in der Wirkung von Ton in den Medien haben!
Durch die bisherigen Aussteuerungsnormen, die lediglich einen maximalen Spitzenwert vorschreiben, wurde in den Medien ein zunehmender Wettkampf um größere Lautheit der Inhalte geführt. Mithilfe von Kompressoren und Limitern wurden die Radio- und Fernsehprogramme akustisch maximal verdichtet. Kurzfristige Aufmerksamkeitserregung durch vermeintlich höhere Programm-Lautstärke wurde im Markt wichtiger als ein angenehmes und durchhörbares Klangbild. Bestes, negatives Beispiel: Die Werbeblöcke fallen immer lauter und aggresiver aus und Pop- und Rockmusik wurde jeglicher Dynamik beraubt.
Dabei handelt es sich nur um eine Schein-Lautstärke: Denn das letzte Wort hat immer noch der Konsument mit der Hand am Laustärkeregler seines Empfangsgerätes. Und je mehr die Sender ihre Programme verdichteten, desto mehr drehte der Zuhörer seinen Regler nach unten. Die Folge: Eine akustisch flaches und undynamisches Programm, welches auf Dauer abstumpfend wirkt.
Nun endlich haben sich Wissenschaftler und Gremien über ein Verfahren geeinigt, mit dem die Lautheit eines Tonsignals bewertet werden kann. Die daraus entwickelte Emfpehlung R128 fordert die Tonwelt dazu auf, vorrangig die Lautheit ihrer Töne zu messen. Dadurch sollen Lautstärkesprünge im Programm verhindert und der Wettbewerb mittels größerer Lautheit zugunsten eines transparenten und dynamischen Klangbildes beendet werden.
In der Konsequenz sollen die Programme in Zukunft leiser ausgestrahlt werden. Für den Hörer bedeutet dies lediglich, dass er den Lautstärkeregler an seinem Verstärker höher als zur Zeit gewohnt einstellen muss. Dafür bekommt er ein angenehmeres Klangbild geliefert.
Für die Tonleute in den Sendern und Studios bedeutet dies, sich an neue Begriffe zu gewöhnen: Eine Aussteuerung nach Dezibel (dB) mittels Quasispitzenwertmesser (QPPM) gehört bald der Vergangenheit an. Die neue Einheit in der Tonwelt ist in Zukunft das LU (loudness unit). Mittels Langzeitmessung muss das Programm so ausgesteuert werden, dass die Ziel-Lautheit bei -23 LUFS liegt (+-1 LU). Diese Zahl wird wohl bald zum „Heiligen Gral“ (Zitat: Camerer) der Audiowelt werden .

Übermäßige Dynamikkompression wird bei der Ausstrahlung kompensiert und führt dadurch nicht mehr zu lauterer Wahrnehmung auf seiten des Hörers. Diese kommerzielle Waffe wird somit stumpf und in Zukunft hoffentlich keine entscheidende Rolle mehr spielen.
Für Hörspiele und Filme, die oft leise Passagen ohne Sprache haben, wurde die Messnorm ITU BS.1770 durch einen Schwellwert („Gate“) von -10LU erweitert: Sobald der Messwert in stillen Passagen 10 LU unter die mittlere Lautheit fällt, werden diese Bereiche von der Bewertung ausgeschlossen. Eine Abweichung von gemessener zur empfundenen Lautheit durch abwechslungsreiche Programmmaterial ist somit praktisch ausgeschlossen. Werbung darf sogar auch kurzfristig -20LUFS nicht übersteigen (3 Sekungen-Mittel, SLk), sonst wird sie um den Betrag der Überschreitung heruntergeregelt.
Die Messung wird ergänzt durch die Erfassung des „wahren Spitzenpegels“. Der True Peak Level (TPL) wird nach 4fach Oversampling des digitalen Signals samplegenau ermittelt, um Übersteuerungen von D/A-Konvertern, wie sie häufig in aktuellen Musik-CDs auftreten, zu vermeiden.
Die Lautheitswerte sollen in Zukunft in den BWF-Metadaten der Audiodateien abgelegt werden. Weitere Messdaten sind Lautheitsdynamik (LRA, Loudness Range) , Momentane Lautheit (MLU, 400ms) und kurzzeitige Lautheit (SLU, short term LU 3 Sek.) . Der Zusatz „FS“ bezieht sich wie bei der derzeitigen Pegelmessung (dBFS) auf die Vollaussteuerung eines digitalen Signals.
Die gemessene Programmlautheit in LUFS kann übrigens direkt als „dialnorm“-Parameter für Dolby-Signale (Dolby E, Dolby Digital) übernommen werden, der die Range-Control-Schaltungen in den Dolby-Endgeräten steuert
Mit der Veröffentlichung der Empfehlung kommendes Jahr wird es darauf ankommen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender sie als erstes umsetzen, damit der Rest des Marktes diesen technischen Wortführern folgt. Eine große Überzeugungsarbeit steht bevor, um auch die privaten Sender für die Absenkung des Programmpegels zu gewinnen. Denkbar sind aber auch legislative Schritte auf EU- oder Bundesebene.

Loudness-Webinar von Florian Camerer (ORF)

Loudness-Webinar von Florian Camerer (ORF)